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Mittwoch, 2. Januar 2008

Alkohol in der Schwangerschaft: Böse Folgen kaum bekannt

Berlin (dpa) - Die kleine Kim war ständig laut und unkonzentriert, mit den anderen Kindern in der Tagesstätte wollte sie nichts zu tun haben. Der Arzt war sicher: Kim ist hyperaktiv. Doch der Grund für ihr Verhalten war ein anderer.


Schwangere Frauen dürfen keinen Alkohol trinken - dies könnte dem ungeborenen Kind schaden. (Bild: dpa)

Berlin (dpa) - Die kleine Kim war ständig laut und unkonzentriert, mit den anderen Kindern in der Tagesstätte wollte sie nichts zu tun haben. Der Arzt war sicher: Kim ist hyperaktiv. Doch der Grund für ihr Verhalten war ein anderer.

Ihre Pflegeeltern vermuteten richtig, dass Kims leibliche Mutter Alkoholikerin gewesen sein könnte. «Es gibt viele Menschen, bei denen nie erkannt wird, dass ihre geistigen oder körperlichen Einschränkungen schon im Mutterleib von Alkohol verursacht wurden», sagt Kinderarzt Hans Ludwig Spohr.

Der Mediziner beschäftigt sich seit Jahren mit den sogenannten Fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD) und hat in Berlin die erste Beratungsstelle für Kinder in Deutschland mitbegründet, deren Mütter während der Schwangerschaft getrunken haben und die dadurch geschädigt wurden. Obwohl FASD bereits 1973 in den USA entdeckt worden sei, sei die Krankheit in Deutschland sowohl bei Ärzten als auch bei Eltern kaum bekannt, beklagt Spohr. Ein Grund dafür ist seiner Ansicht nach, dass die Krankheit so schwer von anderen Störungen zu unterscheiden ist.

«Ganz selten kann man FASD schon bei der Geburt diagnostizieren», sagt Spohr. Im Laufe der Entwicklung würden die Zeichen aber eindeutiger. «Die Kinder sind kognitiv auffällig, haben einen zu kleinen Kopf und schwere Probleme zum Beispiel bei der Organisation von Abläufen.» Zudem wiesen sie häufig, aber keinesfalls immer, spezifische optische Merkmale auf. «Sie sind zu klein und untergewichtig. Ihr Gesicht sieht verändert aus: Ihre Oberlippe ist schmal und die Abstände der Lidspalten zu klein.» Geistige und körperliche Behinderungen träten in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Eine Diagnose sei extrem schwierig und brauche viel Zeit.

«Wir wissen nicht genau, ab welcher Menge von Alkohol sich FASD entwickelt», sagt Spohr. Das sei von Frau zu Frau unterschiedlich. «Wenn eine Mutter einmal die Woche betrunken ist, ist die Gefahr sehr groß», meint der Mediziner. Er rät werdenden Müttern, auch auf das vereinzelte Gläschen Sekt oder Wein zu verzichten. «Alkohol während der Schwangerschaft ist tabu.»

Obwohl die Krankheit wenig erforscht ist, kommt sie Schätzungen zufolge weitaus häufiger vor als gedacht. «Wir schätzen, es trifft bis zu vier von 1000 Kindern», erläutert Spohr. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), geht davon aus, dass in Deutschland jährlich doppelt so viele FASD-Kinder geboren werden wie Kinder mit Down-Syndrom. «Alkohol in der Schwangerschaft ist ein absolut unterschätztes Problem», sagt Bätzing. Mit Warnetiketten auf Wein- oder Bierflaschen will sie deshalb künftig schwangere Frauen vom Alkoholkonsum abhalten.

Denn bleiben die Störungen unerkannt, steht vielen Kindern ein langer Leidensweg bevor. «Weil zum Beispiel Gehirnstörungen nicht erkannt werden, wird das Verhalten der Kinder fehlinterpretiert», sagt die Psychologin Gela Becker-Klinger, die in der Berliner Einrichtung «Sonnenhof» betroffene Kinder betreut. «Die Kinder werden falsch therapiert und sind dann doppelt bestraft.» So werde beispielsweise fehlendes Erinnerungsvermögen als Trotz interpretiert und den Kindern vorgeworfen. «Ärzte und Therapeuten müssen umdenken. Die Diagnose FASD ist in Forschung und Lehre nicht ausreichend vertreten.»

Und auch für die Eltern kann die Erkennung der Krankheit Erleichterung bringen. Schätzungsweise 90 Prozent der betroffenen Kinder lebten in Pflegefamilien, meint Spohr. «Es ist vor allem für die Pflegeeltern wichtig, dass der Run zu verschiedenen Ärzten aufhört. Nach einer Diagnose wissen sie, dass es nicht ihre Schuld, sondern eine körperliche Krankheit ist.» Heilung für FASD gebe es nicht. «Man kann die Kinder nicht behandeln, aber man kann sie fördern. Und man kann ihnen den Status eines behinderten Kindes geben, denn sonst gelten sie oft als verhaltensgestört, aber nicht als körperlich geschädigt.»


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