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Mittwoch, 30. Juli 2008

Briefdetektive suchen Adressen: 16 000 Briefe täglich

Marburg (dpa) - Liebespost, Urlaubsgrüße und Beileidskarten - Anja Roth bekommt jeden Tag mehrere hundert Briefe. Sie liest sie aber kaum, dazu bleibt der 38-Jährigen keine Zeit.

Eine Postmitarbeiterin öffnet in der Briefermittlungsstelle in Marburg einen Brief, der nicht zugestellt werden konnte. (Bild: dpa)

Marburg (dpa) - Liebespost, Urlaubsgrüße und Beileidskarten - Anja Roth bekommt jeden Tag mehrere hundert Briefe. Sie liest sie aber kaum, dazu bleibt der 38-Jährigen keine Zeit.

Im Eiltempo schlitzt sie pro Stunde mehrere Dutzend Umschläge auf, und das obwohl auf keinem Kuvert ihr Name steht. Die Angaben darauf sind spärlich: Der Empfänger ist unvollständig, unbekannt verzogen oder falsch, der Absender fehlt. Trotzdem versucht die Postmitarbeiterin, eine Adresse zu ermitteln. Dazu darf die Briefdetektivin sogar fremde Post lesen. Wie ihre rund 110 Kollegen, die im bundesweit einzigen Service-Center Briefermittlung der Deutschen Post AG im mittelhessischen Marburg arbeiten.

Hier landen alle Postsendungen, die auf Irrwege geraten sind, weil Anschriften fehlen oder Absender oder Adressat unauffindbar sind. Bis zu 16 000 Briefe täglich, wie Gerhard Schwarzer, Leiter der Abteilung Briefermittlung, sagt. Sie kommen aus den 82 regionalen Briefzentren der Post, wo sie - wie es im Postjargon heißt - als «unanbringlich» gekennzeichnet und nach Marburg weitergeleitet werden. Hier beginnt die Arbeit der Briefdetektive. Sie versuchen, die Poststücke auf den rechten Weg und so in den richtigen Briefkasten zu bringen. Für die Suche nach einem verwertbaren Hinweis dürfen die Spezialisten das Briefgeheimnis brechen - ganz legal. Das macht das Postgebäude am Rand der Marburger Kernstadt zu einem besonderen Ort in Deutschland. Die Briefermittlungsstelle gibt es seit 1977.

Absolute Verschwiegenheit hat aber in den nur mit Zahlencodes zugänglichen Etagen oberste Priorität. «Was die Mitarbeiter lesen, müssen sie streng für sich behalten», sagt Schwarzer. «Außerdem zensieren wir die Post nicht.»

Was sie in fremder Post liest, für sich zu behalten, fällt Anja Roth nicht schwer. «Das ist gar nicht so interessant, wie man denkt», sagt sie. Die Briefe lese sie ohnehin nur quer. «Da reichen zwei Blicke», sagt Roth, während sie ein Schreiben aus einem Umschlag zieht. Es ist eine Einladung zu einem Klassentreffen, der Empfänger war unter der angegebenen Adresse nicht auffindbar. Verwertbare Hinweise stünden meist am Anfang oder Ende eines Briefes. «Wie hier, da steht die Anschrift des Absenders unter dem Text der Einladung», sagt Roth nach wenigen Sekunden. Sie steckt die Einladung in einen neuen Umschlag und klebt ein Etikett mit der soeben ermittelten Anschrift des Absenders darauf. «Das war einfach», sagt Roth.

Kniffelig wird es für die Postmitarbeiterin und ihre Kollegen, wenn auf den Umschlägen als Empfänger nur etwa «An den Weihnachtsmann» oder «An Onkel So-und-so in Oldenburg» steht. Wenn sich dann auch im Brief absolut keine Hinweise auf den Absender finden lassen, kommt das Poststück ins Archiv.

Bei mehr als 50 Prozent liegt die Erfolgsquote der Adressen- Ermittler laut Schwarzer. «Jeder zweite Brief, der zu uns kommt, erreicht also doch noch seinen Empfänger oder kann zum Absender zurückgeschickt werden», sagt der 48-Jährige. «Und dieser ganze Service ist für den Kunden kostenlos.» Was die Briefermittlung die Post kostet, verrät das Unternehmen nicht. «In erster Linie wollen wir erreichen, dass unsere Kunden zufrieden sind», sagt Pressesprecher Alexander Böhm. Bei mehr als 70 Millionen Sendungen, die jeden Tag in Deutschland verschickt werden, komme nur eine «wirklich kleine Zahl» an Irrläufern in Marburg an.

Die trotz Recherche unzustellbaren Briefe lagern im Archiv neben unzähligen Gegenständen, die auch ihre Adressaten nicht erreicht haben, weil sie auf dem Weg zu ihnen aus den oft nicht ausreichend stabilen Kuverts gepurzelt sind. Rote Kunststoffboxen, gestapelt in vielen, vielen Regalen, wie Schwarzer erzählt, ohne Einblick in den Lagerraum zu gewähren. «Es gibt nichts, was nicht verschickt wird, die Menschen stecken einfach alles in Umschläge», sagt er. Von A wie Armbanduhr über C wie Chipkarte und H wie Handy bis hin zu S wie Schlüssel, T wie Teddy und Z wie Zahnprothese - etwa 1500 Fundsachen aus den Briefzentren fallen den Spürnasen jeden Tag in die Hände. Alle vier Monate werden die herrenlosen Gegenstände versteigert, nach denen innerhalb eines Jahres niemand forscht, die Briefe kommen in den Reißwolf.

Für Renate Wagner, die seit mehr als zehn Jahren in der Briefermittlung arbeitet, sind Überraschungen ganz selten geworden. «Ich habe schon fast alles in die Hände bekommen, auch Unterwäsche und Zahngold», sagt die 54-Jährige. Sie schüttet eine graue Tasche aus. Eine Batterie, eine Tube Sekundenkleber, eine EC-Karte, ein Handy, ein Schlüsselanhänger mit Teddy in gelber Latzhose und eine CD landen auf ihrem Schreibtisch - Fundsachen aus Freiburg. Jeden Gegenstand trägt Wagner in eine Datenbank ein, die jede Nacht mit Kundenanfragen abgeglichen wird. «Das Schönste ist, wenn ich den Besitzern helfen kann, ihre Sachen zurückzubekommen», sagt sie. So manches rührende Dankesschreiben habe schon den Weg nach Marburg gefunden - ganz ohne Nachhilfe.

Informationen: Deutsche Post AG, Service-Center Briefermittlung, 35031 Marburg, Hotline: 01802-25 25 50, E-Mail: servicecenterbriefermittlung@deutschepost.de


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