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Montag, 26. März 2007

Der verspätete Opernbesucher

Vor dem Amtsgericht Aachen trafen zwei unterschiedliche Auffassungen über Opernbesuche aufeinander – nämlich die des Klägers und die des Richters. Der Kläger und seine Frau waren wenige Minuten nach Beginn der Oper „Nabucco“ im Stadttheater von „A.“ erschienen und wurden nicht mehr eingelassen.


Vor dem Amtsgericht Aachen trafen zwei unterschiedliche Auffassungen über Opernbesuche aufeinander – nämlich die des Klägers und die des Richters. Der Kläger und seine Frau waren wenige Minuten nach Beginn der Oper „Nabucco“ im Stadttheater von „A.“ erschienen und wurden nicht mehr eingelassen. Sie sollten bis zur ersten Pause warten. Im Urteil heißt es zum Geschehensablauf dann weiter: „Nach dem Austausch von Unfreundlichkeiten verließ der Kläger nebst Gattin das Haus und kehrte nicht zurück.“ Der Kläger verlangte nun also vom Stadttheater den Ersatz des Eintrittspreises sowie der Fahrtkosten für die An- und Abreise.

Doch da war er beim Richter am Amtsgericht Aachen an den Falschen geraten, der die Klage, die laut Urteil „ungeachtet der erheiternden Aspekte des Falles“ nicht einfach zu entscheiden war, ab. Es könne zunächst ohne Weiteres festgestellt werden, dass die Mitarbeiter des Theaters den Einlass verweigern durften. Es bestünde insoweit eine „jahrhundertealte und internationale Gepflogenheit“ die sich auf die Kurzformel „Vorhang auf – Türen zu“ bringen lasse. Verspätete Besucher beeinträchtigten nämlich die Aufführung und die übrigen Gäste. Die Begründung im einzelnen zeugt von leidvollen Erfahrungen des Richters: „(Die bereits anwesenden Opernbesucher) werden nicht, wie beispielsweise im Kino, klaglos hinnehmen, dass Nachzügler geräuschvoll hinter dem Lichtkegel der Taschenlampe eines Platzanweisers herstolpern, um sich unter vielen ‚Entschuldigung’ und ‚Darf ich mal’ auf ihren Platz zu drängeln, wobei sie unter den bereits sitzenden Zuschauern den aus Fußballstadien bekannten ‚La-Ola-Effekt’ auslösen.“ Ein Einlass erst zur Pause sei daher zulässig. Da der Kläger wohl vorgetragen hatte, es müsse im Einzelfall nach Art der Oper differenziert werden, heißt es im Urteil weiter: „Weder kann (dem Ordnungspersonal) die Auswahl dramaturgisch günstiger Momente zum schubweisen Einlass von zu spät Gekommenen überlassen werden, noch kann es darauf ankommen, ob es sich um eine Aufführung mit geräuschvoll tumultartigen Szenen auf der Bühne oder um eine andachtsvollere Darbietung handelt, so dass bei Wagner einzulassen wäre, bei Bach aber nicht.“

Damit war allerdings noch nicht entschieden, ob der Kläger sein Eintrittsgeld zurückverlangen konnte. Dem könnte aus juristischer Sicht entgegenstehen, dass der Kläger selbst eine Pflicht aus seinem durch den Kartenkauf geschlossenen Vertrag mit dem Stadttheater verletzt hat. Der Richter stellte dazu fest, dass das pünktliche Erscheinen bei Aufführungsbeginn wohl keine „Hauptpflicht“ des Vertrages sei: „Kein Inhaber einer Opernkarte muss sich der Aufführung tatsächlich aussetzen, was sich schon an der guten alten Tradition des ‚Opernschläfchens’ erweist; einer sanktionslos möglichen Verweigerung des Kunstgenusses von schätzungsweise im Durchschnitt 10 % des Publikums. Richtigerweise ist das pünktliche Erscheinen des Opernbesuchers, ähnlich wie das Antreten zu einer Operation, der Anprobe für einen Maßanzug oder einer Porträtsitzung auch keine Pflicht, sondern eine nicht klagbare reine Gläubigerobliegenheit.“ Die Verletzung dieser Obliegenheit führe aber dazu, dass das Theater eine angemessene Entschädigung für die zumindest angebotene Leistung verlangen könne. „Vereitelt der Opernkarteninhaber durch Zuspätkommen (oder aber, um das Beispiel zu Kontrollzwecken weiterzuführen, durch Einschlafen) das Zustandekommen des Werkes, nämlich zwar nicht der Aufführung als solcher, wohl aber der Interaktion zwischen Bühnenakteuren und lauschendem Publikum, darf der Veranstalter als billige Entschädigung für das Bereithalten eines geheizten und beleuchteten Saales sowie eines wohl präparierten Ensembles das vorausentrichtete Eintrittsgeld behalten.“

Auch die Erstattung der Fahrtkosten, die nach Ansicht des Klägers mangels Opernbesuchs nutzlos waren, lehnte das Gericht ab. Weil das Stadttheater zu Recht den Einlass verweigert habe, stünde dem Kläger ein entsprechender Schadensersatzanspruch nicht zu. Darüber hinaus zeigte der Richter, dass er nicht nur Opernfreund, sondern auch Lokalpatriot ist. Er konnte sich nicht verkneifen anzufügen, eine Anfahrt nach „A.“ könne „schlechterdings nicht vergebens sein, insbesondere dann nicht, wenn sie von G. aus unternommen wird, und es steht auch keinesfalls fest, dass es dem Kläger nicht doch noch gelungen ist, an dem besagten Abend sich in der umliegenden Gastronomie oder den übrigen Unterhaltsstätten der A.-Innenstadt einen vergnüglichen Abend zu machen.“

Urteil des AG Aachen vom 24.4.1997, Az. 10 C 529/96

(Der Text der Entscheidung ist abgedruckt z.B. in NJW 1997, S. 2058.)


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